Mein Amerika – Teil 3

Was ist „mein Amerika“? Diese Frage bekam ich vor ein paar Tagen gestellt, und sie hat mich seitdem beschäftigt. Woher meine Grundsympathie (ich möchte hier bewusst nicht von „Liebe“ sprechen) für dieses Land kommt, habe ich in einem anderen Post schon beschrieben. Doch diese Grundsympathie hat Gestalt gewonnen: In den Jahren nach meinem ersten Besuch hat sich mein Bild von Amerika immer weiter konkretisiert. Viele Städte und Bundesstaaten habe ich inzwischen besucht, viele Amerikaner persönlich kennen gelernt. Ach ja, bevor Missverständnisse aufkommen: Wenn ich „Amerika“ sage, meine ich die USA, auch wenn das geografisch und politisch nicht korrekt ist. Also, liebe Kanada-, Mittel- und Südamerika-Freunde, bitte nicht böse sein..!!!

Amerika hat für mich also in Menschen und Orten Gestalt gewonnen, und ich habe ein differenziertes Bild gewonnen: Amerika ist wahnsinnig vielgestaltig und vielfältig. Der IT-Manager in San Jose und der Bibelschüler in Alabama haben wahrscheinlich nicht viel gemeinsam, genauso wenig wie Brooklyn mit dem Yosemite-Nationalpark. Doch obwohl die Menschen sich der Unterschiede bewusst sind, eint sie der Patriotismus, der Stolz auf die Verfassung und die Freiheit, die sie den Bürgern verspricht. In der konkreten politischen Umsetzung tun sich dann allerdings wieder Barrieren auf und zwischen Demokraten und Republikaner ist das Land tief geteilt.

Wenn ich also das beschreibe, was ich an den USA so mag, dann ist das nur ein Ausschnitt der Wirklichkeit, aber einer, der nicht im Widerspruch zu ihr steht.

„Freiheit“ ist ein abstrakter Begriff, aber in Amerika glaube ich manchmal, spüren zu können, was er bedeutet. Die Weite, die schiere Größe des Landes spielt dabei sicher eine Rolle. Man kann sich stundenlang geradeaus bewegen, ohne an Grenzen zu stoßen und selbst der Himmel scheint hier weiter zu sein als bei uns.Und um Freiheit geht es oft auch in den Konflikten zwischen den politischen Parteien: Wieviel von meiner Freiheit gebe ich an die Regierung in Washington ab, damit sie die Gesellschaft formen kann? Für möglichst viel Selbstverantwortung stehen die Republikaner, für mehr Gestaltungsmacht der Regierung die Demokraten. Ich fühle mich jedenfalls frei, wenn ich im Central Park stehe, oder an der Pazifikküste, oder in der Wüste Kaliforniens.

Stadt und Natur – ich mag beides, und in Amerika finde ich es. Urbane Kultur hat hier so verschiedene Gesichter wie Greenwich, SoHo, Harlem oder Brooklyn, wie Hollywood und Beverly Hills, wie SoMa, Little Italy oder die diversen Chinatowns. Und in Amerika wurde die Idee der Nationalparks geboren, John Muir propagierte sie angesichts der großartigen Landschaften des Westens. Wenn ich in den USA bin, besuche ich immer sowohl Städte als auch Wüsten, Wälder oder Strände. Wer die Strände Sylts mag, wird die Küsten Neu-Englands lieben. Bergsteiger und Skiläufer finden in den Rocky Mountains wahre Paradiese. In den USA gibt es tropische Wälder, steinalte Mammutbäume, Canyons, die sprachlos machen und Wüsten, in denen man die Stille hören kann. In Amerika unterwegs zu sein, ist für mich immer ein großes Staunen – über die Schöpfung und über die Kraft menschlicher Gestaltungskraft.

Was mir an Amerika auch gefällt, sind die Leichtigkeit und die optimistische Unverkrampftheit: Take it easy! Nicht nur in Las Vegas und New Orleans sind die Amerikaner locker, sondern vor allem auch in den großen Küstenstädten im Osten und Westen. Natürlich hat jeder die Last seines Alltags zu tragen, aber die grundsätzliche Freundlichkeit und Offenheit der Amerikaner gefällt mir, auch wenn sie von manchem als oberflächlich beschrieben wird. Ja, sie ist vielleicht oberflächlich, aber ich werde lieber oberflächlich freundlich als tiefgründig unfreundlich behandelt…Die Start Up – Kultur im Silicon Valley und zunehmend auch in New York ist für mich ein Ausdruck des amerikanischen Optimismus und des Glaubens daran, dass jeder eine Chance hat, etwas zu erreichen. Wenige Tage im Silicon Valley reichen schon aus, um mich für fast alles zu motivieren.

Mein Amerika hat auch Schattenseiten, darüber mach ich mir keine Illusionen. Es gibt große Armut, gerade in den Städten, während sich der Reichtum bei immer wenigen Menschen ansammelt. Der Konsum ist allgegenwärtig, die Werbung auf Billboards und im Fernsehen kann man nur als pentrant bezeichnen (auch wenn ich sie oft schon gar nicht mehr bewusst wahrnehme). Der „militärisch-industrielle Komplex“ beherrscht auch hier große Teile der Politik, und auch wenn es noch immer jeder nach oben schaffen kann, haben es die Eliten doch deutlich leichter – wer einmal in der „Ivy League“ studiert hat, der behält seine Netzwerke ein Leben lang. Aber ermutigend finde ich, dass all das auch in den USA selbst thematisiert wird: Die Freiheit der Presse ist ein hohes Gut. Und auch wenn „Occupy Wall Street“ letztlich nicht erfolgreich war, gab und gibt es diese Bewegung hier. Umweltschutz war lange nicht existent, doch von heute auf morgen schaffen ganze Landkreise die Plastiktüten in den Supermärkten ab (und die Idee der Nationalparks habe ich ja oben schon erwähnt).

Ich will Amerika nicht idealisieren. Aber gerade hier spüre ich, wie wichtig es ist, Ideale zu haben und für sie zu kämpfen. Die Freiheit zu haben, sein Glück zu machen, im Vertrauen auf Gott und die eigenen Talente – diese Freiheit spüre ich, wenn ich in Amerika bin. Das ist mein Amerika.

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Michael

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