Wer heute noch glaubt, dass Journalismus die Wirklichkeit objektiv abbildet, muss ein Idealist sein oder wirklichkeitsfremd. Medien inszenieren die Wirklichkeit je nach den (angenommenen) Bedürfnissen ihrer jeweiligen Zielgruppen: „Der Köder muss dem Fisch schmecken“. Man bezeichnet es auch als „Framing“, wenn bestimmte Themen und Ereignisse von den Medien in bestimmte Zusammenhänge eingeordnet werden. Aktuell ist das gegenwärtig beim Thema des sexuellen Missbrauchs an katholischen Schulen zu beobachten. Die Vorfälle werden sehr oft in den Zusammenhang „Kirche und Sexualität“ eingeordnet, weit weniger oft dagegen etwa in die Zusammenhänge „Pädagogik und Sexualität“ oder „Kirche und Pädagogik“. Warum ist das so?
Schweizer Forscher haben jetzt herausgefunden, dass Journalisten religiöse Themen oft aus ganz bestimmten Gründen mit anderen Themenbereichen in Verbindung bringen (1): Weil ein religiöses Thema allein nicht attraktiv genug erscheint und weil es in der praktischen Redaktionsarbeit hilfreich sein kann, auf Strukturen anderer Ressort zugreifen zu können. Einer der befragten Journalisten wird in der Studie folgendermaßen zitiert: „Am besten ist Religion gekoppelt mit Sex, Gewalt, Erziehung, Schule oder Staat. Rein religiöse Fragen sind weniger interessant„.
Es muss deshalb nicht verwundern, dass Themen, die von kirchlichen Medienverantwortlichen gerne auf der Medienagenda gesehen würden, dort oft nicht erscheinen, weil Journalisten sie als nicht attraktiv betrachten und / oder keinem für die Leser bzw. Zuschauer relevanten Lebensbereich zuordnen können. Stattdessen kommen in den Medien solche religiösen Themen deutlich häufiger vor, die in die Bereiche Wirtschaft, Politik, Sexualität usw. hineinreichen. Auch wenn Prominente beteiligt sind, gelangen religiöse Themen oft in die Medien, die sonst dort nicht vorkommen würden: Wenn etwa ein bekannter Fernsehmoderator sich taufen lässt, ist das ein Medienthema – bei Lieschen Müller aber nicht. Gleiches gilt, wenn etwa ein Trauergottesdienst (von denen es jeden Tag hunderte gibt!) anlässlich des Todes von Prominenten oder von Naturkatastrophen stattfinden: Während „normale“ Gottesdienst für die Medien uninteressant sind, gewinnen sie in Zusammenhang mit den Faktoren „Prominenz“ oder „Katastrophe“ an Attraktivität. Ähnliche Ergebnisse haben übrigens auch Studien aus den USA gewonnen, die feststellten, dass Religion in den säkularen Medien in den allermeisten Fällen in politischen Zusammenhängen thematisiert wurde.
Was kann man daraus lernen? Wenn die Kirchen erreichen wollen, dass sie mit „ihren“ Themen stärker von den Medien berücksichtigt werden, müssen sie das notwendige „Framing“ selbst leisten, d.h. sie müssen ihre Themen selbst in Zusammenhänge stellen, die mit alltagsrelevanten Lebensbereichen zu tun haben. Oder konkret: Die Ausrufung eines „Paulusjahres“ interessiert die säkularen Medien nicht. Wenn aber bekannte Politiker darum kämpfen, dass aus diesem Anlass eine frühchristliche Kirche in der Türkei wieder benutzt werden kann, wird es für die Medien interessant. Wenn ein neuer Erwachsenenkatechismus vorgelegt wird, wird kein säkulares Medium sich zur Pressekonferenz anmelden. Wenn sich aber ein Fernsehmoderator taufen lässt und den Katechismus zur Vorbereitung genutzt hat, werden die Kollegen erscheinen…
(1) Vinzenz Wyss/Guido Keel Religion surft mit. Journalistische Inszenierungsstrategien zu religiösen Themen. In: Communicatio Socialis 42 (2009), S. 352-364